Lauter Freunde

Deutschbaltisches Familientreffen in Bonn-Annaberg

Ein Balte reist zu Beginn der fünfziger Jahre nach Bonn. Heimgekehrt äußert er sein Befremden darüber, dass im Wirtschaftsministerium, in dem er zu tun hatte, gar kein Balte zu finden sei. „Man weiß gar nicht, an wen man sich dort wen­ den soll!“, stellt er mit Bedauern fest. (aus: Lothar Kaehlbrandt (Hrsg.): Baltische Pratchen.)

Dieses in einem typischen baltischen Pratchen geschilderte Erlebnis kann einem Balten im Jahr 2015 in Bonn nicht passieren, zumindest, wenn er Ende August / Anfang September ins Rheinland reist. Und so machten sich auch in diesem Jahr wieder 75 Teilnehmer, Balten wie Beutebalten, aus nah und fern, von 0 bis über 80 Jahren Ende August auf zum Annaberg in Bonn Friesdorf, um sich dort zum mittlerweile schon 33. Deutschbaltischen Generationentreffen zu versammeln. Und wie so oft in der Vergangenheit spielte auch das Wetter mit, zeigte es sich doch nach zuvor durchwachsenen Tagen von seiner besten Spätsommer-Seite.

So stand auch dem traditionellen Lagerfeuer am Freitagabend nichts im Wege, bei dem man schnell ins Gespräch kommt, begleitet vom Gesang vor allem der Jugend.

Annaberg Annaberg

Ein Auszug ins einzigartige Bilderbuchmuseum in Troisdorf stand am Samstagvormittag auf dem Programm. In zwei parallelen Führungen bekamen wir am Beispiel des preisgekrönten Werkes „Das Herz des A en“ interessante Einblicke in den Entstehungsprozess eines Bilderbuches (und nebenbei den Hinweis, dass man nicht bedingungslos jeden Wunsch seiner Frau erfüllen sollte). Während die Kinder darüber hinaus in ihrer Gruppe (der sich im Übrigen auch zahlreiche Jugendliche und Erwachsene angeschlossen hatten) selbst kreativ werden durften, diskutierten die „Großen“ über die Frage, inwiefern Kinderbuch-Klassiker wie der „Struwwelpeter“ heute noch zeitgemäß sind.

In einem sehr interessanten Vortrag führte uns Martin Pabst am Nachmittag in die Mythen der Hanse ein und räumte mit einigen Missverständnissen auf, die sich um den legendären Städtebund des Mittelalters, zu dem auch Riga und Reval gehörten, ranken.

Anschließend blieb noch genug Zeit, die Française einzuüben bzw. aufzufrischen, bevor sich alle in festlicher Abendgaderobe zum obligatorischen Gruppenfoto vorm Haus versammelten, um darauf den Höhepunkt des Wochenendes einzuläuten, den festlichen Abend in der einmaligen Kulisse der Annaberger Räumlichkeiten inklusive echter Kerzen auf den Kronleuchtern, Ende o en. So graute wieder einmal schon der Morgen, als die letzten Feierwütigen ihr Bett aufsuchten.

Martin Pabst, der Referent sowie DJ des Balles, war auch am Sonntag erneut im Einsatz, dieses Mal am Predigtpult der hauseigenen Kapelle. In einem stimmungsvollen Gottesdienst, untermalt vom Koberschen „Posaunenchor“, verband er die Erfahrungen der Deutschbalten mit Umsiedlung und Flucht mit den aktuellen Ereignissen in Deutschland.

Und dann hieß es auch schon wieder Abschied nehmen, aber nicht, ohne sich den Termin für das 34. Generationentreffen im kommenden Jahr zu merken, das dann vom 9. bis 11. September 2016 in Haus Annaberg stattfinden wird.

Hartmut v. Boetticher

Quelle: Mitteilungen aus baltischem Leben – 4/2015