Baiba Vanaga

Dilettantinnen oder Pionierinnen?

Deutschbaltische Künstlerinnen

„Wir müssen bekennen, daß von Dilettantinnen wohl nur äußerst wenige eine solche Stufe der Vervollkommnung erreichen werden, wie wir sie, zu unserer großen Überraschung, in diesen Kopien vorgefunden haben.“ So würdigte ein Kritiker in den Rigaschen Stadtblättern 1859 die Kopien nach Anthonis van Dyck, die Elise von Jung­-Stilling (1829-1904) während ihres Kunststudiums in Dresden gemalt und in Riga ausgestellt hatte.

Bis zur Jahrhundertwende war das Kunstleben in Riga noch karg: Ausstellungen fanden nur gelegentlich und eher zufällig statt. Es gab keinen Kunstmarkt und eine akademische Kunstausbildung nur im Ausland. Um 1900 veränderte sich die Situation: Der 1870 gegründete Rigaer Kunstverein veranstaltete ab 1898 regelmäßig Ausstellungen im Kunstsalon, 1873 wurde die erste private Kunstschule gegründet und 1905 entstand das Rigaer Städtische Kunstmuseum.

Wie insgesamt in Europa war eine künstlerische Aus­bildung auch in den baltischen Provinzen für Frauen schwierig. Sie begannen bei ansässigen Künstlern und wechselten dann häufiger an die nahe und renommierte Kunstakademie in Petersburg, die früher als in Deutschland schon seit 1873 Kunststudentinnen aufnahm, ihre Zahl jedoch auf 50 begrenzte und für sie separate Frauenklassen einrichtete. Dann wurden auch Dresden und ab etwa 1880 München und Paris populäre Studienorte für bal­tische Künstlerinnen.

Im Jahr 1873 gründete Elise von Jung­Stilling eine eigene Zeichenschule in Riga – die erste von einer Frau gegründete Kunstschule im Baltikum und der Beginn einer eigenen Kunstausbildung im Lande. Nach ihrem Tod (1904) übernahm die Stadt Riga die Schule und benannte sie in „Rigasche Städtische Kunstschule“ um. Sie wurde zu einer sehr beliebten Adresse für junge deutschbaltische Künstlerinnen. Unter ihren Lehrern waren auch Frauen: z.B. Ida Ludloff (1852­?), die an der Königlichen Kunstgewerbeschule in München studiert hatte, oder die Künstlerin und Kunstkritikerin Susa Walter (18741945), die aus Dorpat kam und sich in Berlin weitergebildet hatte. Zu ihnen gehörte auch „die interessanteste Erscheinung“ (Jānis Siliņš) dieser Generation baltischer Künstler, die Malerin Eva Margarethe Borchert­Schweinfurth (1878­1964). Sie hatte die Jung­Stillingsche Zeichenschule selbst absolviert und später drei Jahre lang in Paris an verschiedenen privaten Akademien sowie in München und Berlin studiert. Nach ihre Rückkehr heiratete sie den Maler Bernhard Borchert und arbeitete als Porträtmalerin. Ein Kritiker der Zeitschrift Druva bescheinigte ihr „weiblichen Dilettantismus mit meisterlicher Virtuosität“.

Diese beiden bekanntesten deutschbaltischen Künstlerinnen, BorchertSchweinfurth und Jung­Stilling, sind noch wenig erforscht, und nur wenige ihrere Werke sind erhalten. Und es gibt weitere, die gänzlich unbekannt sind, obwohl ihre Werke von guter künstlerischer Qualität erhalten sind – wie die in Riga geborene Ida Fielitz (1847?-nach 1913), die ihre künstlerische Ausbildung in München erhalten und später an privaten Akademien in Paris ergänzt hat. Sie nahm regelmäßig an verschiedenen Pariser Salons teil, hat aber auch mehrmals in Riga ausgestellt. In der Rigaschen Zeitung zollte ihr ein Kritiker 1878 ein besonderes Lob: „Im Anschluß an die streng charakterisierende Kunst, die man in jeder Beziehung eine männliche Kunst nennen möchte, hat hier Frauenhand Werke von so tiefer Auffassung und von so imponierendem Ernste mit vollständiger Beherrschung der Technik, mit ebenso viel Sinn für Zeichnung wie für die Farbe geschaffen, daß man einen alten Meister vor sich zu sehen meint.“ In Pariser Salons und einige Male auch in Riga hat Alice Dannenberg (1861–1948) ihre Genrebilder und Landschaften ausgestellt. Bei ihr entdeckten Kritiker „französischen Ein­fluß“ und „eine gra­dezu männliche Sicherheit der Technik“. Nach ersten Studien in Riga ging sie an eine Malerinnenschule nach Karlsruhe, später nach Bern und Genf, bis sie sich seit den 1890er Jahren in Paris niederließ. Dort gründete sie zusammen mit einer Kollegin die private Kunstschule „Académie de la Grande Chaumière, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg etwa 400 Schüler hatte, darunter die Rigenserin Ljubow Sonja Grimm (1883­1958). Grimm entwickelte einen spätimpressionistischen Malstil mit breiten, dekorativ wirkenden Pinselstrichen. Einem lettischen Kritiker gab „ihre dilettantische Virtuosität Anlass zur Sorge, dass diese Künstlerin krumme Wege gehen kann.“ Eine der ersten lokalen Künstlerinnen, die sich ernsthaft mit Druckgrafik beschäftigte und in Ausstellungen des Baltischen Künstlerbundes Holzgrafiken zeigte – siehe Titelbild – war Alice Dmitrijew (1876­1945). Sie begann ihre Ausbildung in Riga und ergänzte sie vermutlich im Münchener Lehrund Versuchs­Atelier für angewandte und freie Kunst. Sie muss auch in Dresden gewesen sein. Denn die Deutschbaltin Margot Mecketh schreibt: „Ostern 1905 lernten (die Malerin mit ihrer Begleiterin) auf dem ‚Weißen Hirsch‘ bei Dresden im Sanatorium ... Rainer Maria Rilke kennen und verbringen den Sommer malend in (der Künstlerkolonie) Worpswede, befreundet mit Rilke, dessen Frau (Bildhauerin Clara Rilke­Westhoff) und den dortigen Malern.“ 

Die Malerin religiöser Motive, Mathilde Pohrt (1849­1934), erhielt ihre erste künstlerische Aussbildung in Riga und studierte dann in Dresden und Düsseldorf. Nach zeitgenössischen Kritiken habe sie sich besonders der Portraitmalerei gewidmet; aber heute finden sich nur Informationen über ihre Altarbilder, zumeist Kopien berühmter Meister. In der Kirche von Mehikoorma (Estland) aber gibt es auch eine eigene Komposition mit Christus und Pilatus. Als die Malerin dieses Altarbild 1895 im Rigaschen Kunstverein ausstellte, schrieb ein Kritiker: „Die Malerin hat sich hier eine Aufgabe gestellt, die für eine Dilettantin gewiß schwierig zu lösen ist, denn gerade die religiöse Malerei, die wir bis jetzt nur von Künstlern ausgeübt sahen, stellt an dieselben die höchsten Anforderungen. Mit solchen Ansprüchen dürfen wir das Gemälde natürlich nicht betrachten.“ Um 1900 sah man in den Künstlerinnen häufig nur talentierte Dilettantinnen, die sich mit den schönen Künsten so lange beschäftigen, bis der geeignete Ehemann gefunden war. Künstler empfanden sie als Konkurrenz. In Deutschland bezeichnete man sie gar despektierlich als „Malweiber“. Aber waren diese Künstlerinnen nicht viel mehr als bloße Karikaturen – nämlich hoch begabte Pionierinnen der Emanzipation auch in der Kunst?

Dr. Baiba Vanaga (J. Asara Str. 15–153, LV-1009 Riga, E-Mail: baibalina@gmail. com) würde sich über Informationen (Fotos, Dokumente, Briefe etc.) über Künstlerin- nen freuen, die bis 1890 im heutigen Lett- land geboren sind und/oder dort bis 1915 gearbeitet haben. Die MBL geben diesen Wunsch gern an ihre Leser weiter.

Quelle: Mitteilungen aus baltischem Leben – 2/2016