Malle Ploovits

In der Villa Neobaltia

Das Deutsche Kulturinstitut (DKI) Tartu

Das DKI Tartu befindet sich hinter dem Domberg und ist von der Stadtmitte aus in 10 Minuten zu Fuß zu erreichen. So ist es heute. Aber vor ca 115 Jahren gab es in dieser Umgebung keine Gebäude, sondern Kornfelder und Weiden. Das Gelände lag außerhalb der Stadt. Es wehten aber in Estland schon frische, aufklärende Winde – in diesem Grenzgebiet des großen Zarenreiches an der Schnittstelle zwischen West und Ost. Davon zeugte die Existenz der europäischen, deutschsprachigen Universität. Der Zar selbst schickte seine Untertanen, damit sie ihre akademische Ausbildung hier erhielten und um die europäische Kultur kennen zu lernen.

Es waren deutsche Studenten der Verbindung „Neobaltia“, die auf Suche nach einem günstigen Platz für ihr Verbindungshaus diese schöne Gegend entdeckten. Er lag zwar auf dem Lande, aber gar nicht weit von der Universität. So begann eine rege Tätigkeit, um die Finanzen für den Bau aufzutreiben. Besonders eifrig waren die Philister mit ihren Spendenaufrufen: Die Burschenschaft kaufte das Grundstück vom Gutsbesitzer Tähtvere E.v.Wul, gewann den renommierten Architekten R. M. v. Engelhardt, den Baumeister W. Sternfeldt und den Gartenbauarchitekten W. von Engelhardt. Der Bau wurde im Jahr 1900 begonnen und 1904 eingeweiht.

Das Gebäude wurde im historisierenden Jugendstil errichtet. Davon zeugen die schlossartige Bauweise, die gewölbten Details, Schlüssellochfenster an den Türen und die Ornamentik. Es bringt die Sehnsucht nach Heimat zum Ausdruck. Heimatkunst ist eine Kunstströmung, die der Hektik einer Großstadt ein idyllisches Land- bzw. Dorfleben entgegensetzt. Unser Haus ist ein eindrucksvolles Beispiel deutscher Heimatkunst und steht unter Denkmalschutz.

Die Studentenverbindung nutzte das Haus bis 1940. Zu Beginn der sowjetischen Okkupation wurden alle Vereine verboten. Die Burschenschaftsmitglieder und Philister emigrierten. In der Sowjetzeit wurde das Haus zunächst den Jungpionieren übertragen und später von der Fahrschule Almavü genutzt.

Als sich während der revolutionären Situation am Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts das nationale Bewusstsein des Volkes wieder erhob, entstanden in Tartu viele deutsche Kulturgesellschaften. 1992 vereinigten sich die Gesellschaft für Deutsche Kultur, die Estnische Goethe-Gesellschaft, der Verein der Deutschen Estlands, die Akademische Gesellschaft für Deutschbaltische Kultur in Tartu, der Estnische Deutschlehrerverband und die RichardWagner-Gesellschaft. Sie wurden zu den rechtlichen Gründungsmitgliedern des DKI.

Ziele des DKI sind die Verbreitung und Förderung der deutschen Sprache und Kultur in Estland mit dem Schwerpunkt Tartu und Südestland, die Verbreitung der estnischen Kultur in Deutschland sowie die Weiterentwicklung der Kulturbeziehungen zwischen Estland und Deutschland im Rahmen der europäischen Integration. Das DKI-Programm umfasst Veranstaltungsreihen, Kurse für Deutsch als Fremdsprache, Filmabende, Konzerte, Theateraufführungen und Spielworkshops. Die Sprachkurse werden durch die hausinterne Bibliothek unterstützt.

Unsere wichtigsten Partner in der Kulturvermittlung sind das GoetheInstitut, die deutsche Botschaft in Tallinn, die Stadt Tartu, die Universität und das DKI Tallinn.
Das Haus in der Kastanistraße 1 gehört der Stadt Tartu. Seit 1993 können wir es vertraglich mietfrei nutzen. Mit der Unterhaltung des schönen Gebäudes müssen wir aber selbst fertig werden. Und das ist gar nicht leicht. Das alte Haus braucht eine Renovierung, und die Unterhaltskosten sind hoch. Dennoch haben wir das bisher geschaft. Wir sind herzlich dankbar für jede Unterstützung, die zum Erhalt des Gebäudes beiträgt, um auch in Zukunft vielfältige Kulturveranstaltungen anbieten zu können.

Das wichtigste Kulturereignis in diesem Jahr war im Mai das Liederfest der deutschen Minderheiten im Baltikum. In baltischen Ländern gibt es fast 50 Vereine von Deutschen und ihrer Nachkommen, zumeist von Russlanddeutschen. Jedes Jahr findet ein deutsches Liederfest statt. Das ist ein wichtiges Ereignis, wo man Freunde treffen, singen und tanzen, sich seiner Wurzeln bewusst werden und Zugehörigkeitsgefühl erleben kann. Das Liederfest in Tartu war das erste, das in Estland stattfand. Wir haben dafür extra auch ein Liederbuch herausgegeben. Die ganze Organisation war gar nicht leicht, wir danken dem Bundesministerium des Inneren und dem estnischen Kulturministerium für die freundliche Unterstützung und hoffen auf weitere Liederfeste in Estland.

Malle Ploovits leitet das Deutsche Kulturinstitut in Tartu.

Quelle: Mitteilungen aus baltischem Leben – 4/2015